Flyeraktion gegen Nazi-Heilpraktiker Henning Pless

Wie einem Artikel auf linksunten.indymedia.org zu entnehmen ist, haben gestern Antifaschist_innen Flyer gegen das “Heilcentrum Pless” in der Kieler Innenstadt verteilt.

Die Hintergründe des rechten Heilpraktikers Henning Pless haben wir hier beschrieben.

An die Substanz gehen!

Sticker vor dem “Heilcentrum Pless”, weitere Bilder gibt es im Artikel auf linksunten

Naziladen „Böhm Streetwear“ in Lägerdorf dichtmachen!

Die Kampagne “An die Substanz!” scheint langsam an Fahrt aufzunehmen. Nachdem kürzlich die Hintergründe neonazistischer Geschäftswelten in Kiel, Neumünster und Plön thematisiert wurden und es im Rahmen einer antifaschistischen Fahrradtour schon erste Aktionen gab, beleuchtete die Antifaschistische Initiative Kreis Pinneberg in einem Artikel die Hintergründe des Neonazi-Ladens “Böhm Streetwear” in Lägerdorf. Im Folgenden dokumentieren wir den Text:

In Schleswig-Holstein läuft gerade eine Kampagne unter dem Motto: „An die Substanz – rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben“.

Wir wollen hiermit die Kampagne um den Versandhandel und das Ladengeschäft von Ragnar Böhm in Lägerdorf (Kreis Steinburg) ergänzen.

Ragnar Böhm ist kein unbekannter im Internationalen-Neonazinetzwerk. Sein Ansehen innerhalb der Szene, genießt er auch wegen seiner Herkunft, er entstammt einer bekannten seit Generationen rechten Familie. Sein Großvater mütterlicherseits gehörte der SS-Division „Leibstandarte Adolf Hitler“ an und war bis zum Ende des Dritten-Reiches SS-Brigadeführer.

Nach 1945 arbeitete er, so wie seine Ehefrau, wieder als Lehrer. Ihre Tochter Ingeborg heiratete den Sozialpädagogen Rolf Dieter Böhm, Ragnars Vater. Seine Eltern waren überzeugte Rassisten, ihre sechs Kinder wurden im Sinne der NS-Idiologie erzogen. Mit dem zehnten Lebensjahr traten die ältesten Böhm-Kinder der Wiking-Jugend bei. In Schleswig-Holstein, Sandwehle bei Garding betrieb die Familie einen Pony-Ferienhof mit dem Namen „Thulehof“.
Zum Ende der 70er Jahre wurde Rolf Dieter Böhm wegen dem Vorwurf eine »terroristische Vereinigung« gebildet zu haben Verhaftet, vor dem Oberlandesgericht in Schleswig wurde er dann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Im September 1978 überfielen Armin Peil und Jürgen Töpke in Husum ein britisches Militärfahrzeug, um Waffen zu erbeuten.
Statt Waffen fanden die Nazis in dem erbeuteten Panzerschrank geheime Dokumente der Nato, wie Raketencodes und Telefonlisten. Mit diesem Material wollte die sechsköpfige Nazigruppe, zu der auch Rolf Dieter Böhm und Ernst-August Möller aus Tönning bei Husum gehörte, Rudolf Heß freipressen. Mit den Worten „Tauschen Safe für die Freiheit Rudolf Heß“, meldeten sie sich als „Werwolf Deutsches Reich“ per Post an die britische Armee. Nach dem sich darauf niemand meldete versuchte Rolf Dieter Böhm die Dokumente für 10000 Mark an die Presse zu verkaufen. Auch dabei hatte die Gruppe keinen Erfolg und so versteckte Rolf Dieter Böhm die Dokumente auf seinem Reiterhof. Als im März 1979 die Gruppe einen Brandanschlag auf die Freimaurerloge in Hamburg vorbereitete und vier Tage lang die Loge und die Hausmeisterfamilie ausspionierte, um mit drei Propangasflaschen, 120 Litern Benzin und elektrischen Zeitzündern eine Anschlag zu verüben, wurde es Armin Peil zu heiß und er wandte sich an die Polizei. Armin Peil berichtete auch das die Gruppe für eine Bombenanschlag auf die Flensburger Staatsanwaltschaft so wie für mehrere schwere Diebstähle um „Geld für die Bewegung und Waffen zu bekommen“ verantwortlich sind.

Bei der Landtagswahl 2012 in Schleswig-Holstein war Jürgen Töpke für die NPD im Wahlkreis 2 Husum Kandidat.
Gegen Ernst-August Möller, den früheren Kreisvorsitzenden der NPD im Kreis Nordfriesland, ermittelte die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Oder 2003 wegen des Verdachts auf Frauenhandel.

Anfang der 90er wanderte ein Teil der Böhm Familie nach Argentinien aus. Rolf Dieter Böhm arbeitete für die deutsche Handwerker- und Siedlergemeinschaft in der Provinz Cordoba, Ingeborg Böhm unterrichtete an einer deutschen Schule.

Nicht nur Ragnar Böhm ist weiterhin in der nationalistischen Tradition von Eltern und Großeltern verbunden.
In Brandenburg leben zwei Schwestern von Ragnar Böhm die beide kräftig in der Rechten-Szene mit mischen.
Holle Böhm war vor dem Verbot der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) HdJ-Bundesführerin der Mädchen, die HDJ war die nachfolge Organisation der Wiking-Jugend und wurde im März 2009 verboten.
Gesine Stein, geb. Böhm verheiratet mit dem ehemaligen „Gaufüher Berlin“ der Wiking Jugend Sascha Stein, die ältesten ihrer fünf Kinder waren bis zum Verbot in der HDJ. Sascha Stein ist bis heute im Umfeld der Jugendorganisation der NPD (JN) aktiv. Wie Ragnar Böhm hatte Sascha Stein in Brandenburg eine Ladengeschäft.

Schon im Mai 2007 machten Antifaschistinnen auf den Naziladen von Ragnar Böhm aufmerksam. Rund 50 Demonstrantinnen sind unter dem Motto “ Naziläden schlißen!“ durch Lägerdorf bei Itzehoe gezogen.

Nazistrukturen aufdecken und bekämpfen!

Rechte Erlebniswelt und Infrastruktur in Kiel und im Kreis Plön

Die Neonazi-Szene Kiels und Umgebung hat in den letzten Jahren einen starken Wandel durchlaufen. Während vor wenigen Jahren noch Strukturen um die militante “Aktionsgruppe Kiel” (AG Kiel) um die Vorherrschaft auf der Straße kämpften und an dem selbst gesetzten gesellschaftlichen Kristallisationspunkt letztlich auch nach kurzem Kampf scheiterten, geben sich die verbliebenen neonazistischen Organisationen äußerlich angepasster und unauffälliger. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig eine nachhaltige Schwächung, denn zum einen belegen Wahlergebnisse, dass der gesellschaftliche Nährboden für neonazistische Politik unverändert vorhanden ist und zum anderen wird aus der Region Infrastruktur für zum Teil internationale rechte Kreise gestellt. Demnach steht der weitgehende Zusammenbruch der militanten Straßenbewegung und der desolate Zustand der örtlichen NPD zwar für einen Erfolg stetiger antifaschistischer Arbeit, bedeutet allerdings auch teilweise den bloßen Rückzug in kleinere Zirkel, denn ohne die Aufmerksamkeit durch große öffentliche Auftritte und spektakuläre Übergriffe lassen sich lukrative braune Geschäfte machen und jenseits antifaschistischer oder behördlicher Aufmerksamkeit die Eckpfeiler zukünftiger Politik setzen.
Aus diesem Grund hat die Kampagne “An die Substanz! – rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben” das Ziel eben genau jene Strukturen offen zu legen und mit der nötigen antifaschistischen Aufmerksamkeit zu bedenken. Nachfolgend ein Überblick über einige braune Geschäfts- und Erlebniswelten in Kiel und Plön. Getreu dem Motto der Kampagne sind alle Antifaschist_innen aufgerufen weitere Informationen beizusteuern und auch über die gemeinsamen Aktionen hinaus mit eigenen Inhalten und Aktionsformen aktiv zu werden.

Die völkische Neonazi-Szene und ihre Geschäftspraktiken
Insbesondere um die kleine Gemeinde Martensrade im Kreis Plön hat sich ein Zirkel gut vernetzter und vermeintlich intellektueller Neonazis gebildet. Dreh- und Angelpunkt ist das Versand- und Verlagshaus von Dietmar Munier und Gerlind Mörig, deren Aktivitäten unter der “Lesen und Schenken Verlagsgesellschaft” zusammengefasst werden.


Dietmar Munier

Munier ist schon seit Jahrzehnten ein Drahtzieher neonazistischer Aktivitäten und dementsprechend ist seine Vita durchzogen von Kontakten zu vielfältigen rechten Strukturen und Personen, weshalb hier nur beispielhaft einige genannt werden. Früher betrieb Munier eine Buchhandlung am Dreiecksplatz in Kiel, zeitweilig zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Thies Christophersen, einem ehemaligen SS-Angehörigen, der in einer Versuchsanstalt für Pflanzenschutz der SS nahe dem KZ Auschwitz eingesetzt war. Über Christophersen bestand auch der Kontakt zu dem Rechtsterroristen Manfred Roeder und dem Holocaustleugner Ernst Zündel, zuletzt 2012 Gast auf Muniers Kastanienhof anlässlich einer Sonnenwendfeier. Neben seinen publizistischen Aktivitäten engagiert sich Munier seit langem in völkisch-neonazistischen Erziehungsmethoden und Gebietsrevisionismus. So ist er in Russland mit einem Einreiseverbot belegt, denn er verfolgt mit verschiedenen Initiativen und Vereinen die “Wiederansiedlung” von vermeintlichen “Deutschen” in Russland. Der wichtigste dieser Vereine wird unten noch thematisiert. Vor allem durch seine Aktivitäten im ehemaligen Ostpreußen hat sich Munier über die “Vertriebenen”-Szene ein weites Kontaktnetz auch über seinen angestammten Neonazismus hinaus geschaffen. So gilt er trotz bester Kontakte zu militanten Neonazis als vertrauenswürdiger Funktionär und Wohltäter quer durch neurechte und konservative Kreise, bis hin zu Teilen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Die “Lesen und Schenken Verlagsgesellschaft” ist nach dem Niedergang des NPD-Hausverlags “Deutsche Stimme” der mutmaßlich einflussreichste deutschsprachige Verlag mit explizit neonazistischer Ausrichtung. In dem unübersichtlichen Verlagsgeflecht werden diverse faschistische Schriften und Devotionalien produziert und vertrieben. Augenfällig ist insbesondere die Strategie hinter den bekanntesten Formaten “Zuerst!”, “Deutsche Militärzeitschrift” (DMZ) und “Der Schlesier”. Alle eint eine eindeutig positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus und die Beteiligung neonazistischer Autor_innen. Gleichzeitig werden die Inhalte, im Unterschied zu vielen anderen Neonazi-Schriften, professionell aufbereitet und wird in Layout und Inhalt auf explizite subkulturelle Szene-Codes der klassischen Neonazis verzichtet. Auch kommen Autor_innen der Neuen Rechten zu Wort. So werden die erwähnten Schriften auch über ohnehin schon politisierte eigene Kreise hinaus als “Fachzeitschriften” wahrgenommen, schließlich gelten die Analysen militärischer Strategien in der DMZ bei Militärangehörigen als zutreffend, die “Vertriebenen” betrachten den “Schlesier” als ihr Sprachrohr und rechtskonservative Kreise beziehen sich schon einmal auf “Zuerst!”. Dementsprechend hoch sind die Auflagen, “Zuerst!” hatte eine Erstauflage von 86 000 Exemplaren, “Der Schlesier” soll eine wöchentliche Auflage von 12 000 Stück haben. An diesem für Neonazis ungewohnt lukrativen Geschäft verdienen auch andere kräftig mit. So ist sich der bekannte Bauer-Verlag nicht zu schade, den Vertrieb für “Zuerst!” zu übernehmen. Zu dem Martensrader Publikationshaus gehören verschiedene Verlage und Vertriebe, wobei die “Lesen und Schenken Verlagsgesellschaft” eine


Manuel Ochsenreiter

übergeordnete Rolle spielt, so läuft die Infrastruktur (Fuhrpark, Webseiten) unter dem Dach von “Lesen und Schenken”. Weitere Namen aus dem Geflecht sind “Arndt-Verlag”, “Nation & Europa”, “Orion-Heimreiter-Verlag” oder “Fortuna-Buchservice”. Als Mitarbeiter_innen und Redakteur_innen sind schon viele aus dem Personenkreis der Neuen Rechten oder dem organisierten Neonazismus in Martensrade tätig gewesen. Redaktionelle Hauptfigur ist Manuel Ochsenreiter, Chefredakteur der wichtigsten Publikation “Zuerst!”. Ochsenreiter ist omnipräsent auch in anderen Publikationen aus Muniers Verlagen und tritt als Referent auf. Strategisch positionieren Ochsenreiter und Munier “Zuerst!” zwischen der Bedienung der angestammten Klientel, so nimmt “Zuerst!” an Fachmessen für rechte Publizistik teil, wie 2012 am “Zwischentag” der Zeitschrift “Sezession”, und einem weltpolitischen Anstrich. Ochsenreiter reist regelmäßig in den nahen Osten und versucht sich dort als vermeintlich seriöser Korrespondent, wobei das Resultat meist doch nur einschlägige Erlebnisberichte für Neonazis und Militaristen sind. So ließ sich Ochsenreiter 2008 auf einem von der Hisbollah abgeschossenen Panzer der Israelischen Armee ablichten und aktuell füllt er die Martensrader Formate mit seinen Berichten aus Syrien. Jüngst für Aufsehen sorgte “Zuerst!”, als es zur Urlaubssaison die zehn schönsten “Deutschen” Reiseziele benannte, von denen ein guter Teil nicht in den heutigen Grenzen Deutschlands liegt. Auf seinem früheren Posten als Chefredakteur von der “Deutschen Militärzeitschrift” wurde Ochsenreiter von Guido Kraus beerbt.
Antifaschist_innen fällt das Martensrader Verlagshaus auch immer wieder im Zusammenhang mit der örtlichen Neonazi-Szene auf. Insbesondere die NPD hat über ihren bei Munier angestellten


Jens Lütke

stellvertretenden Landesvorsitzenden Jens Lütke gute Kontakte zu dem Verlagshaus. So können Firmenwagen für Aktionen der Neonazi-Szene genutzt werden, kann Lütke auch immer wieder Parteiarbeit während seiner Arbeitszeit verrichten, bekommt für Aktionen frei und fungiert das Martensrader Verlagshaus als interne Kontaktadresse der NPD. Über den finanziellen Zusammenhang zwischen Munier und der NPD ist noch nicht alles bekannt, direkte Förderung über Spenden liegt im Bereich des Möglichen und das Ausmaß der stattfindenen indirekten Förderung (Fuhrpark, Räumlichkeiten, Arbeitszeit, sonstige Infrastruktur) dürfte auch noch nicht in Gänze bekannt sein.
Das Anwesen in Martensrade umfasst Wohngebäude, Ställe, Verlagsgebäude und Druckerei. Unter dem Schutz eines Wachturms entstand eine braune Parallelwelt, deren Strukturen trotz des großen Bekanntheitsgrades weitgehend intransparent sind. Neonazis können sich in dem kleinen Ort abgeschieden von der kritischen Öffentlichkeit vernetzen und ideologische wie wirtschaftliche Grundlagen für verschiedene Bereiche rechter Politik legen.
Die Neonazi-Szene betrachtet die “Lesen und Schenken Verlagsgesellschaft” zwiegespalten. Angerechnet wird Munier, dass er sich trotz der großen Bekanntheit nie distanziert hat von den klassischen neonazistischen Spektren um NPD und Kameradschaften. Im Gegenteil stellt Munier Neonazis immer wieder Treffpunkte, Fahrzeuge, Arbeitsplätze und vermutlich Geld zur Verfügung. Auch genießen die Führungspersonen der Kreise um Munier ein hohes Ansehen, schließlich haben diese erreicht wovon die schlecht organisierten und zerstrittenen Milieus der Kameradschaften oft nur träumen können: Gut vernetzte und über Jahrzehnte etablierte Strukturen, die auch eine praktische politische Relevanz jenseits des “Kampfes um die Strasse” haben. Andererseits wird der “weichgespülte” inhaltliche Kurs der Martensrader Publikationen kritisiert. Teile der Neonazis fordern außerdem eine Aufklärung der Rolle Tino Brandts, V-Person des “Verfassungsschutzes” und mutmaßliche Schlüsselperson im “NSU”-Komplex. Dieser hatte vor seinem Outing als V-Person bei dem “Zuerst!”-Vorläufer “Nation & Europa” gearbeitet. Gerade weil Munier damals offiziell noch nicht an der Publikation beteiligt war, verwundert sein mangelnder Aufklärungswillen einige Neonazis. Stimmen in der Szene mutmaßen, dass der “Verfassungsschutz” weitreichenderen Einfluss auf rechte Publizistik hatte als allgemein bekannt und auch der “NSU”, über den Multifunktionär Tino Brandt, in diesem Netzwerk eine Rolle spielen könnte.

Als einer der engsten Vertrauten Muniers bei der Umsetzung seiner politischen Ziele gilt Henning Pless. Die neonazistischen Aktivitäten von Pless wurden vom


Henning Pless

antifaschistischen Recherche-Portal La Quimera ausführlich beschrieben. An dieser Stelle deshalb nur einige grundlegende Informationen, für eine Vertiefung sei der oben genannte Artikel empfohlen. Pless ist Vorsitzender des “Schulvereins zur Förderung der Russlanddeutschen in Ostpreussen e.V”, einem von Munier gegründeten Verein der versucht über eine Schule und diverse Kulturveranstaltungen “Deutsche” Traditionen in dem Dorf Jasnaja Poljana (ehemals Trakehnen) zu reaktivieren. Früher war Pless 1. Bundesführer der “Heimattreuen Deutschen Jugend”, einem völkischen Jugendverband, der aufgrund seiner offensichtlichen Anlehnung an die “Hitler-Jugend” verboten wurde. Damals schon galt Dietmar Munier als treibende Kraft im Hintergrund. So übernimmt Henning Pless immer wieder Aufgaben neonazistischer Politik als Vertrauensperson von Munier. Aktuell organisiert er dessen “Lesertreffen”, die sich zu einem der wichtigsten Zusammenkünfte der verschiedenen rechten Strömungen im deutschsprachigen Raum entwickelt haben. Dort treffen neben Neonazis auch Militaristen, Neue Rechte und “Vertriebenen”-Verbände zusammen um jenseits großer öffentlicher Aufmerksamkeit Strategien rechter Politik zu diskutieren. Diese Vernetzungstreffen der Deutschen Rechten werden offiziell von Pless´ “Schulverein” ausgerichtet. Referent_innen berichten zu einschlägigen Themen, so referierte 2012 “Zuerst!”-Chefredakteur Manuel Ochsenreiter im neonazistischen Duktus über “Medien-Manipulationen”, Alfred Mechtersheimer sprach über “Deutschland als Friedensmacht” und Dmitrij Chmelnizki gab seine Thesen zu “Stalins Angriffskrieg” zum Besten. Für einen Überblick über das Treffen 2013 sei wiederum ein Blick in den La Quimera-Artikel empfohlen.
Privat und beruflich lebt Pless ein, im Vergleich zu anderen langjährigen neonazistischen Funktionären, unauffälliges Leben. Er nimmt nicht an Demonstrationen und Übergriffen der Szene teil, betreibt mit dem “Heilcentrum Pless” eine vermeintlich seriöse Heilpraxis mitten in der Kieler Innenstadt und pflegt sein Image als Wohltäter für die Sache der “Vertriebenen”. So richteten der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis und das ehemalige Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ortwin Lowack Grußworte an den “Schulverein” anläßlich der Jahreshauptversammlung 2012, die im Rahmen des “Lesertreffens” in Weißenstein (Bayern) stattfand. Persönlich an Pless lobte Ortwin Lowack dessen “Idealismus, positive Lebenseinstellung und vorbildhafte Arbeit” die “den jungen Menschen in Ostpreußen eine neue (oder alte?) kulturelle und geistige Perspektive und Tiefe” vermitteln könne. Dieses Statement verdeutlicht einmal mehr die Gefährlichkeit von Henning Pless und Dietmar Munier, denn trotz ihrer explizit neonazistischen Ausrichtung haben sie durch den Verzicht auf militanten Szene-Habitus Fürsprecher bis in den Bundestag gewinnen können.

Weitere rechte Publizistik
Etwas weniger bekannt aber nicht minder beachtenswert ist der Kieler “Regin-Verlag” um Dietmar Sokoll. Der Verlag des ehemaligen Burschenschaftlers Sokoll (“Alte Hallesche Burschenschaft Rhenania-Salingia zu Düsseldorf”, einer Verbindung des Rechtsaußen-Dachverbands “Deutsche Burschenschaft”) verlegt und vertreibt diverse rechte Literatur. So verlegte der “Regin-Verlag” Werke in Andenken an rechte VordenkerInnen wie Oswald Spengler oder Savitri Devi. Auch aktuelle AutorInnen sind der Neuen Rechten oder dem Neonazi-Spektrum zuzuordnen. Schlagzeilen machte der Verlag 2013, als er ein Werk über “Inselfaschismus” des Autors Eric Fröhlich ankündigte. Das Werk wird im Spätsommer erwartet. Fröhlich war eine Führungsfigur der “Nationalen Sozialisten Chemnitz” und stand der “Weißen Bruderschaft Erzgebirge” nahe. So nahm er mit wichtigen UnterstützerInnen der “NSU”-TerroristInnen an Szene-Veranstaltungen wie paramilitärischen Märschen teil. Außerdem soll er zu Ralf Wohlleben, mutmaßlicher Hauptunterstützer der neonazistischen Terrorzelle, Kontakt gehalten haben, weshalb sich auch die Bundesanwaltschaft im Rahmen des “NSU”-Verfahrens für ihn interessiert.
Der “Regin-Verlag” wurde im April 2013 vom NDR in einem Beitrag thematisiert.

Geschäfte der militanten Szene


Alexander Hardt

Das aktuell bekannteste von Neonazis betriebene Geschäft Kiels ist “PLS-Werkzeuge” (“PLS” = “Polenschlüssel”) am Vinetaplatz. Unter dem rassistischen Namen werden von Personen aus der Mischszene zwischen militanten Neonazi- und “Bandido”-Strukturen Einbruchswerkzeug und Bewaffnung vertrieben. Die Hintergründe des Geschäfts wurden im Januar von La Quimera beschrieben, weshalb wir darauf aufbauend hier nur einige aktuelle Entwicklungen beleuchten werden. Das Geschäft hat im Moment Montag bis Freitag ab 10.00 Uhr bis nachmittags geöffnet. Der Hauptakteur Alexander Hardt hat, nachdem die Geschäftsführung im Nachgang der Veröffentlichung der neonazistischen Hintergründe schon einmal wechselte, aktuell wieder den Posten des Geschäftsführers übernommen. Er selbst ist seit einem Umbau vor einigen Wochen seltener im Geschäft anzutreffen, stattdessen haben Kieler Neonazis um Timo Räwel und Tobias Schulz die Verantwortung vor Ort übernommen. Bei dem Umbau half auch Timo Räwels Bruder Andy Räwel. Die Neonazis geben sich zunehmend aggressiv, zeigen oft mit mehreren Personen Präsenz


Timo Räwel

vor dem Laden und bedrohen Menschen. Die Aufteilung der Verantwortung zwischen verschiedenen Neonazis spricht zum einen für eine wirtschaftliche Etablierung, zum anderen für eine Absicherung des Geschäfts in Anbetracht der drohenden Inhaftierung von Hardt. Weiterhin unklar ist die Rolle Peter Borcherts, zigfach vorbestrafter neonazistischer Gewalttäter und ehemaliger NPD-Landesvorsitzender, der vermutlich in einigen Monaten aus der Haft entlassen wird. Bei der Eröffnung firmierte Borchert mit auf dem Klingelschild am Geschäft. Eine Möglichkeit besteht darin, dass “PLS-Werkzeuge” als braunes Resozialisierungsprojekt für Borchert vorgesehen ist und sich Borchert aus der Haft kommend und der mit Haft bedrohte Hardt buchstäblich die Klinke in die Hand geben. Borchert verbindet eine längere Geschichte mit dem Kieler Stadtteil Gaarden, in welchem der Vinetaplatz liegt. Bei früheren Versuchen sich in Gaarden zu etablieren musste er stets nach teils heftigen Auseinandersetzungen mit Antifaschist_innen den Stadtteil wieder verlassen. Eine mögliche aktive Rolle Borcherts bei “PLS” würde also für eine Eskalation der Lage sprechen.

Unauffälliger aber nicht weniger explizit neonazistisch ist der Versandhandel “Support Wear” von Matthias Kussin. Die dahinter stehende Firma “MK-Service” (“MK” = Matthias Kussin) betreibt unter den Namen “Asathor-Auktion”, “Support-Wear”, “Aryan Blood Records” und “Amalek-Textilien” Produktion und Versand von Artikeln für die militante Neonazi-Szene. Die Aufmachung der Produkte und Webseiten ist eindeutig nationalsozialistisch und beworben wird das Geschäft auf einschlägigen Portalen wie “Altermedia”. Um die Bindung an die Kameradschaftsszene unter Beweis zu stellen, wurde beispielsweise zu dem neonazistischen “Tag der Deutschen Zukunft” ein Sonderverkauf mit Solidaritätsbeitrag veranstaltet. Ansässig ist der Versandhandel an der Privatadresse von Kussin im Göteborgring in Kiel-Mettenhof.
Hinter dem Namen Matthias Kussin verbirgt sich Matthias Lehnecke, früherer NPD-Kandidat und neonazistischer Gewalttäter aus Kiel. Lehnecke betrieb früher den “Ruf des Nordens”-Versandhandel, dessen Emailadresse immer noch als Kontaktadresse von “MK-Service” genutzt wird. Verheiratet ist Matthias mit Melanie Kussin, langjährige Aktivistin des Kieler Kameradschaftsspektrums und mit guten Kontakten zu “Club88”-AktivistInnen um Christiane Dolscheid, Frank Rieckmann oder Michael Denz, deren Nachnamen er annahm.


Andy Räwel

Neonazistische Urlaubswelten
Ein besonderes Beispiel für gesellschaftliche Verankerung auf der einen und neonazistische Politik auf der anderen Seite ist Eckart August. Öffentlich gibt sich August als familienfreundlicher Betreiber des “Eselpark Nessendorf” im Kreis Plön. Das Konzept ist aufgegangen: Der Eselpark wird omnipräsent im ganzen Bundesland als Ausflugsziel beworben und auch Ausflugstipps von großen Medien und Tourismusindustrie weisen oft auf den Betrieb der Familie August hin.
Antifaschist_innen stellt sich jedoch ein ganz anderes Bild der Szenerie dar. Eckart August ist bekannt für sein langjähriges Engagement in der NPD und soll auch finanziell der klammen Neonazi-Partei schon das eine oder andere Mal ausgeholfen haben. Jüngst in die Schlagzeilen geriet August, als bekannt wurde, dass der “NSU” im Urlaub auf seinem Eselpark zu Gast war. Dies ist kein Beweis dafür, dass August wusste es mit der untergetauchten neonazistischen Terror-Zelle zu tun zu haben, allerdings gibt es viele Hinweise, dass die Gruppe um Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sich ihre GastgeberInnen sehr sorgfältig aussuchte. So häuften sich Anschläge in Regionen wo Kontaktpersonen der drei Terroristen lebten und auch Anschlagspläne für Schleswig-Holstein wurden bekannt. Die TerroristInnen


Tobias Schulz

machten gern Urlaub im nahen Fehmarn und besuchten anscheinend auch Szene-Veranstaltungen in Schleswig-Holstein. Da entsprechend des Vorgehens in anderen Regionen auch für die Aktivitäten im Norden Deutschlands mutmaßlich örtliche Unterstützung vorhanden war, bleiben an August als eine der wenigen belegten Kontaktpersonen einige Fragen offen, die dieser wohl nie beantworten wird.

It’s up to you!
Dies war kurzer Einblick in neonazistische Geschäftswelten in Kiel und Umgebung. Auch wenn sicherlich die prominentesten Beispiele aufgeführt wurden, entziehen sich viele kleine und große Rückzugsräume der Neonazis oft der kritischen Öffentlichkeit. Um den Namen der Kampagne “An die Substanz!” auch Programm werden zu lassen, rufen wir alle Antifaschist_innen auf, zu helfen neonazistische Infrastruktur aufzudecken und gegen bekannte rechte Geschäfte aktiv zu werden. Teilt uns eure Informationen mit und organisiert euch!

Versalzen wir die braune Brühe! Nazi-Läden zu Autonomen Zentren, Nazis zu Pleitegeiern und rassistische Schundblätter ins Klo!

Für weitere Informationen sei an dieser Stelle auch die Webseite der örtlichen antifaschistischen Gruppen empfohlen und die des antifaschistischen Recherche-Portals La Quimera aus Schleswig-Holstein.

Kiel: Antifa-Fahrradtour geht an die Substanz

Vor Matthias Kussins Wohnhaus in Kiel-Mettenhof

+++ Antifaschistische Fahraddtour im Rahmen der Kampagne “An die Substanz!” macht Station an Objekten der rechten Geschäftswelt in Kiel +++ Überraschungsaktionen beim “Heilcentrum Pless”, “Support-Wear” und “PLS-Werkzeuge” +++ Polizei dreht zwischenzeitlich frei und kesselt Fahradfahrer_innen auf Eichhof-Friedhof +++ Positive wie negative Reaktionen auf die Präsenz der Antifaschist_innen +++

Am frühen Abend des gestrigen Donnerstags, den 29. August 2013, führten Antifaschist_innen im Rahmen der Kampagne “An die Substanz! Rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben!” eine Fahrradtour im Kieler Stadtgebiet durch und machten Station an insgesamt drei Objekten, die sich der rechten Geschäftswelt zurechnen lassen. Im Fokus öffentlichkeitswirksamer Aktionen standen das “Heilcentrum Pless” in der Innenstadt, der “Support-Wear”-Versand in Mettenhof und “PLS-Werkzeuge” in Gaarden.

Die Auftaktaktion der Tour fand beim renommierten “Heilcentrum Pless” am Kleinen Kuhberg statt. Betreiber der politisch unscheinbaren und etablierten Heilpraxis ist der seit Jahrzehnten aktive Protagonist des bundesweiten völkischen Neonazismus Henning Pless, der in den 1990ern z.B. Vorsitzender der mittlerweile verbotenen “Heimattreuen Deutschen Jungend” war und sich bis heute in Kreisen der Vordenkerschaft und Publizistik der völkischen Rechten im Umfeld des Martensrader Großverlegers Dietmar Munier sowie im Bereich des Gebietsrevisionismus engagiert.

Nachdem kritische Medien und antifaschistische Initiativen die neonazistischen Hintergründe Henning Pless’ bereits mehrfach thematisiert hatten, wurde dieser nun erstmalig Ziel antifaschistischer Proteste in und im Umfeld seiner Praxis. Gegen 16.30 Uhr betrat eine Delegation des “Vereins zur Schließung neonazistischer Infrastruktur in SH” die Praxis, um Henning Pless für besondere Leistungen im Laufe seiner langjährigen Karriere im braunen Netzwerk zu ehren und ihm eine entsprechende Urkunde zu überreichen. Nachdem seine Vorzimmerdame auf das Gesuch, den Praxisbetreiber persönlich anzutreffen, zunächst auf einen Termin pochte, sich die Delegation ob des gewünschten Überraschungseffektes aber nicht einfach abwiegeln lassen wollte, erschien Pless selbst tatsächlich im öffentlichen Bereich der Praxis. Obwohl dieser eine kurze Zeit um Professionalität bemüht schien, verweigerte er sich dann zur Enttäuschung der Delegierten doch der Urkundenübergabe, hielt seine Sekretärin zum Polizeiruf an und verschwand hektisch in einem Hinterzimmer. Die Urkunde wurde trotzdem nebst zahlreicher Flugblätter in der Praxis zurückgelassen. Zwei anwesende Kundinnen, denen die politischen Hintergründe Pless’ bis dahin offenbar nicht bekannt waren, zeigten sich interessiert an der neuen Erkenntnis.

Zeitgleich zum Besuch in der Praxis hielten etwa 25 Aktivist_innen vor der Praxis eine Kundgebung ab und verteilten Flugblätter, die auch die Nachbarschaft des “Heilcentrum Pless” über die Hintergründe der zeitlich parallel erfolgten unrühmlichen Ehrung informierte. Erst an deren Ende erschien die alarmierte Polizei, die sich in Anbetracht ihrer Unterbesetzung zu diesem Zeitpunkt jedoch noch zurückhielt. Sie begnügte sich damit, einen größeren Pulk Radfahrer_innen zu verfolgen, der sich nach planmäßiger Beendigung der Aktion gemeinsam vom Ort des Geschehens entfernte.

Dass es dabei nicht bleiben sollte, zeichnete sich bereits ab, als die Einsatzfahrzeuge, die die mutmaßlichen vorherigen Kundgebungsteilnehmer_innen nicht ohne Mühen versuchten im Blick zu behalten, sich vermehrten und sogar eine Zivilstreife durch den Schrevenpark rollte, während die Radfahrer_innen ihren Weg unbeeindruckt fortsetzten. Die kurzzeitige Ruhepause vor dem staatlichen Überwachungsdrang, die sich einstellte, als die Reisegruppe den autoberuhigten Eichhof durchquerte, kam abrupt zu einem Ende, als eine weitere herbeieilende Besatzung Bereitschaftspolizist_innen in letzter Minute mit einem nicht ungefährlichen Einparkmanöver, das kaum der Straßenverkehrordnung entsprochen haben dürfte, den Friedhofsausgang Kronshagen kurzerhand zuparkte und einen Teil der Fahradfahrer_innen am passieren hinderte. Anschließend wurden etwa ein Dutzend Radfahrer_innen auf dem Friedhofsgelände hektisch eingekesselt, ihre Personalien überprüft und fotografiert. Dies wurde nachträglich mit einem vermeintlichen Hausfriedensbruch in der “Heilpraxis Pless” begründet. Auch hier ist überaus fragwürdig, wie der offensichtlich völlig konfuse Einsatz mit der Friedhofsordnung, genauso wie mit dem kirchlichen Hausrecht zu vereinbaren ist. Gleichsam unverschämte wie absurde Drohungen von Polizist_innen gegenüber einer Betroffenen, die in Begleitung ihres Kindes unterwegs war, dieser das Sorgerecht nehmen zu wollen, taten ihr übriges, um den Einsatz selbst unter Berücksichtigung diverser negativer Erfahrungswerte mit der Kieler Polizei als völlig maßlos bewerten zu müssen. Nach Abwicklung der Überprüfungen drohte die Polizei mit Ingewahrsamnamen, falls “ähliche Vorfälle sich wiederholen würden”, verzichtete aber auf eine weitere Verfolgung der Radfahrer_innen.

Nichtsdestotrotz kam es gegen 18 Uhr zu einer weiteren antifaschistischen Aktion gegen einen Kieler neonazistischen Gewerbetreibenden. Vor einem Mehrfamilienhaus im Göteborgring im Stadtteil Mettenhof wurde vor der Privatwohnung des langjährigen Neonazis Matthias Kussin, vormals Lehnecke, eine Kundgebung abgehalten. In einem Redebeitrag und auf verteilten Flugblättern wiesen etwa 20 Antifaschist_innen darauf hin, dass dieser von gleicher Adresse aus, u.a. mit dem Mailorder “Support-Wear”, die Neonazi-Szene mit einschlägigen Klamotten, Tonträgern und sonstigen Accessoires versorgt. Hier war die Resonanz sowohl der Passant_innen, als auch im daneben liegenden Imbiss und von Nachbar_innen auf den angrenzenden Balkons durchweg positiv, was sich durch Applaus und in Gesprächen äußerte. Das braune Business in der Nachbarschaft schien auch hier bisher weitestgehend unbekannt gewesen zu sein. Der Besuch bei Kussins “Support-Wear” konnte ungestört und planmäßig beendet werden und die Beteiligten verließen geschlossen per Rad die Gegend.

Als dritte und letzte Station wurde etwa eine Stunde später der Laden von “PLS-Werkzeuge” am Vinetaplatz in Gaarden angefahren, das bisher wohl prominenteste und am ausgiebigsten thematisierte Kieler Beispiel für Geschäfte mit Verwicklungen in die rechte Szene. Das Geschäft vor allem für Bewaffnung und Einbruchswerkzeuge existiert in dieser Form seit Dezember 2012 und wird betrieben von Alexander Hardt aus Neumünster, der im Laufe des letzten Jahrzehnts durch seine Aktivitäten im militanten Kameradschaftsspektrum zunächst in Ostholstein und seit einigen Jahren in Neumünster als Neonazi bekannt geworden ist. Zuletzt gehörte er zum Umfeld des dortigen Szenetreffpunkts “Club88” und tritt seit längerem zudem als Mitglied der Rockergang “Bandidos” auf. Zu seinen Mitarbeitern zählen desweiteren die Kieler Neonazis Timo Räwel und Tobias Schulz, die bereits im Zusammenhang mit den zunehmend inaktiven “Freien Nationalisten Kiel” aufgefallen sind. Der Laden stand in diesem Jahr bereits wiederholt im Fokus von antifaschistischer Öffentlichkeitsarbeit, Straßenprotesten und anderen Aktionen, die das Ziel der Schließung des Ladens im durch Migration geprägten Stadtteil verfolgten.

Nachdem wiederum etwa 20 Aktivist_innen mit Fahrrädern auf dem Vinetaplatz Halt gemacht hatten, wurden vor dem geschlossenen Laden ein Transparent entrollt, ein Redebeitrag verlesen und Flugblätter in der belebten Umgebung verteilt. Währenddessen wurden zudem zahlreiche antifaschistische Aufkleber an der Ladenfassade angebracht. Im Laufe der Kundgebung kam es wiederholt zu Unmutsbekundungen in Richtung der Antifaschist_innen, die zunächst noch als Ausdruck eines allgemeinen Ordnungsfetischismus ob der Stickeraktion eingeordnet werden konnten, sich jedoch in der anschließenden Dynamik schnell mit Sympathiebekundungen für die Ladenbetreiber vermischten. Diese Situation verdeutlichte recht unschön, was gleichzeitig in dem Redebeitrag thematisiert wurde. Nämlich, dass es Hardt und seinem Umfeld bei Teilen seiner Nachbarschaft durchaus gelungen ist, sich durch Zurückhaltung und teils Leugnung ihres nachweisbaren rechten Backgrounds als freundliche und vertrauenswürdige Geschäftsleute zu etablieren. Dass dies freilich nicht überall der Fall ist, zeigten andere Reaktionen, die gestern jedoch leider nicht zu den lautstärksten gehörten.

Nachdem sich die Aktivist_innen nach Beendigung der Aktion wieder entfernt hatten, rollten umgehend vier Wagenbesatzungen Polizist_innen an, die einzelne vermeintliche Antifaschist_innen über den Vinetaplatz jagten, wobei sie teils von Aktiv-Bürger_innen unterstützt wurden, und anschließend wahllose Personenkontrollen durchführten. Auch zwei offenbar alarmierte und sichtlich wütende, zum Laden gehörige, Neonazis, darunter Schulz, trafen einige Zeit später vor Ort ein und begannen mit der Beseitigung der antifaschistischen Zurücklassungen an ihrer Fassade.

Insgesamt kann die antifaschistische Fahrradtour als Auftaktaktion der “An die Substanz!”-Kampagne als gelungen bewertet werden. Insbesondere die Präsenz bei den bisher aktionistisch unbehelligt gebliebenen neonazistischen Gewerbetreibenden Pless und Kussin dürfte seine Wirkung nicht verfehlt haben. Ihnen wird die Erledigung ihres Geschäftsbetrieb nun wohl ungleich weniger entspannt von der Hand gehen als zuvor, wo sie aus der Anonymität agieren konnten und nicht mit unerwünschtem Besuch rechnen mussten. Die Erfahrungen am Vinetaplatz haben dagegen das bestätigt, was Antifaschist_innen seit jeher befürchtet und in der letzten Zeit verstärkt beobachten konnten: Dass sich “PLS-Werkzeuge” mitten in Gaarden eben nicht nur Feinde gemacht hat, was die Betreiber vor allem ihrer opportunistische Strategie im Umgang mit ihren Verwicklungen in die Neonazi-Szene zu verdanken haben. Einer weiteren Festsetzung von Hardt und seinem Anhang in Gaarden muss daher umso dringlicher entgegen gewirkt werden, wobei die konkrete Vorgehensweise der Gemengelage entsprechend wohlüberlegt sein sollte. Die Kampagne “An die Substanz!” bietet einen Rahmen, in dem antifaschistische Arbeit nicht nur gegen “PLS”, sondern gegen alle anderen zahlreichen Objekte neonazistischer Infra- und Geschäftsstruktur in Schleswig-Holstein, auch in den kommenden Wochen ausdrücklich auch eigeninitiativ stattfinden kann. Dazu sind alle Antifaschist_innen herzlich und mit Nachdruck eingeladen.

Im Folgenden noch ein paar Impressionen des Tages.

Kundgebung vor dem “Heilcentrum Pless”
…die ersten Polizist_innen erscheinen, sichtlich überfordert
Kundgebung in Mettenhof
Kundgebung in Mettenhof
Aktion vor “PLS-Werkzeuge” am Vineplatz in Kiel
Aktion vor “PLS-Werkzeuge” am Vineplatz in Kiel

„Club 88“ und „Titanic“: Nazi-Business As Usual in Neumünster

“AG Kiel” vor der “Titanic” 2009


oben: Frank Rieckmann, unten: Tim Bartling

In einem Artikel im Holsteinischen Courier wurde bereits im Oktober 2006 vor dem Schulterschluss zwischen Freien Kameradschaften und Parteikreisen gewarnt, der auch in Schleswig-Holstein dazu führen könnte, dass die NPD in kommunale Parlamente einzieht. 2013 hat es die extrem rechte Partei in Neumünster u.a. durch eine niedrige Wahlbeteiligung und den Wegfall der 5%-Hürde geschafft: Nach den Kommunalwahlen im Mai sitzt der NPD-Spitzenkandidat Mark Michael Proch nun in der Ratsversammlung und kann dort seine menschenverachtende Propaganda verbreiten. Darauf, in welchem Maße neonazistische Infrastruktur an dieser Entwicklung beteiligt ist, gehen wir im Folgenden ein.

In den 1990ern vernetzten sich militante Neonazis aus Norddeutschland zunehmend, mit dem „Club 88“ war im Jahre 1996 auch ein geeigneter Treffpunkt gefunden: Der bunkerähnliche Bau in der Segebeger Straße 67a ist sowohl aus Neumünster und Umgebung, als auch aus Dänemark oder Hamburg gut zu erreichen. Durch den gescheiterten Versuch der Stadt, den „Club 88“ zu schließen, erlangte er Kultstatus in der Naziszene und wird bis heute dementsprechend über CDs, Shirts und Feuerzeuge vermarktet. Da die erste Generation des „Club 88“ um Christiane Dolscheid, Frank Rieckmann und Tim Bartling eher der Kameradschaftsszene zugehörig war, florierte der Treffpunkt im Jahre 2003 auch nach der Radikalisierung der NPD, deren damaliger Landesvorsitzender Peter Borchert zuvor als Sprecher des „Clubs“ auftrat. Über Jahre hinweg wurde der „Club 88“ als Location für Rechtsrockkonzerte oder Liedermacher-Abende genutzt, dabei reisten vor allem zu den Jahrestagen der Gründung Nazis aus Nord- und Ostdeutschland sowie Skandinavien an. Die antifaschistische Kampagne „Club 88 schließen!“ organisierte daher ab 2007 jährlich Gegenproteste zu den Geburtstagsfeierlichkeiten und forderte mit Nachdruck die Schließung des „Clubs“. Mit dem Strukturwandel in Schleswig-Holsteins extremer Rechten hat dieser aber insgesamt an Bedeutung verloren und kämpft vor allem finanziell ums Überleben. Der vormals der „AG Neumünster“ angehörende Alexander Hardt, der zusammen mit u.a. Peter Borchert in die Rocker-Gruppe „Bandidos“ einstieg, vertrieb eine Zeit lang über einen Online-Handel Einbruchswerkzeuge aus dem „Club heraus“, hat sein Geschäft aber inzwischen nach Kiel verlegt. Trotz der Probleme besitzt der „Club 88“ nach wie vor eine enorme Symbolwirkung in der Szene, darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass Michael „Mike“ Denz, der inzwischen einer der Aktivposten des NPD Kreisverbands ist und die Aufgabe innehat, den Kontakt zu den Freien Kräften zu halten, hier regelmäßig hinter dem Tresen stand und auch in der letzten Zeit noch im „Club 88“ gesichtet wurde. Jugendliche Nazis, die zum Trinken und Feiern anreisen, werden hier an organisierte Strukturen herangeführt. Darüber hinaus bietet sich den Nazis im „Club 88“ die Möglichkeit, braune Solidaritäts-Events durchzuführen: 2008 wurde eine Soli-Auktion für den krebskranken Nazi-Liedermacher Michael Müller organisiert, 2012 ging es um das Sammeln von Geld für die Aktvist_Innen, die im Vorjahr am 01. Mai eine Gewerkschaftsveranstaltung in Husum überfallen hatten.

Demonstration der Neonazis für den “Club88” am 24.11.2007, im Vordergrund “Club88”-Betreiberin Christiane Dolscheid und Anmelder Christian Worch


oben: Horst Micheel, unten: Pascal Micheel (rechts) mit Michael “Lunikoff” Regener (“Landser”)

Die „Titanic“ in der Wippendorfstraße 38 in der Nähe des Neumünsteraner Bahnhofs spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in der lokalen Neonaziszene und hat im Laufe der Jahre sogar dem „Club 88“ den Rang abgelaufen.

Seit etwa 2005 gab es vermehrt Übergriffe von eher unorganisierten Nazis aus dem Umfeld der Familien Micheel und Martens, die sich in der damals noch in der Friedrichsstraße ansässigen “Titanic” zum Trinken trafen, auf Besucher_Innen des selbstverwalteten Jugendzentrums AJZ und Bewohner_Innen des Viertels. Bereits Anfang des Jahres 2006 führte ein antifaschistisches Bündnis eine Demonstration unter dem Motto „Kein Ort den Nazis“ durch, um auf die extrem rechte Gewalt aufmerksam zu machen. Der Verfassungsschutzbericht erwähnte die „Titanic“ erstmals 2006, die Lokalpresse wurde aber erst nach Redebeiträgen im Rahmen der „Club 88 schließen“-Kampagne auf die „City-Kneipe“ aufmerksam. Die im Mai 2009 durchgeführte Antifa-Demonstration unter dem Motto „Nazis aus der Deckung holen“ thematisierte u.a. die neonazistischen Aktivitäten von „Titanic“-Wirt Horst Micheel und -Pächter Wolfgang Tiemann, die sich seit 2007 beide an Nazi-Aufmärschen in Norddeutschland beteiligt hatten. Während der antifaschistischen Demonstration postierten sich die Mitglieder der „AG Kiel“ um Daniel Zöllner bzw. „AG Neumünster“ um Nico Seifert und Alexander Hardt vor der Titanic, bei ihrer Abreise überfielen sie eine Gruppe Tierrechtler_Innen und verletzten diese. Brisanter wurde die Lage noch, als sich für die Gründung der „Contras“ Neumünster, ein Ableger der Rocker-Gruppe „Bandidos“, etwa 130 Rocker aus dem Bundesgebiet in der „Titanic“ trafen. Der so genannte Rockerkrieg und die polizeiliche Repression setzten dem Ansehen der Kneipe weiter zu, im November 2010 trafen sich 170 Rocker zum „Contras“-Geburtstag in den neuen Räumlichkeiten in der Wippendorfstraße. Die neue Location zählte zu den Gebieten, die von der Polizei Anfang 2011 zu „gefährlichen Orten“ erklärt wurden, weshalb die „Titanic“ jede Gelegenheit nutzte, sich als „unpolitisch“ zu verkaufen: Sie zählt sich eher zur „Erlebnis-Gastronomie“ – und in der Tat, neben Kneipen-Schlägereien und Polizei-Einsätzen lässt sich hier allerhand erleben.

01.05.2009: Neonazis versammeln sich vor einem Übergriff in Itzehoe vor dem “Club88”, an der Wand lehnend: Michael Denz

“Club88”-Sampler

Einerseits wird mit Dart und Skat geworben, und gerade die zeitweise bis zu neun Dart-Teams der „Titanic“ sorgten in der Vergangenheit immer wieder für Aufsehen: Mal sportlich (2010 errang ein Team der Titanic den dritten Platz bei den deutschen Meisterschaften), zumeist aber auf anderer Ebene. Im Forum der Norddart-Liga schrieb ein User: „Die Jungs haben immer schon Schwierigkeiten gemacht auch in anderen Ligen unter anderem Namen“ und beschwerte sich konkret darüber, dass bei ihnen ein Kerzenständer geklaut worden sei. Anfang 2011 wurden die Titanic-Teams vom EDSV (Elektronik Dart-Sportdachverband Norddeutschland e. V.) ausgeschlossen: “Wir können und wollen den Rechtsextremismus in keiner Weise für gut halten oder unterstützen”, kommentierte deren Vorsitzender das damals. Dem Verband seien Spenden von Einrichtungen aus Neumünster entgangen, weil die „Titanic“ in seinem Ligabetrieb aktiv war, so wird er in einem Artikel von Andreas Speit zitiert. Nicht „rechtsextremen“ Spieler_Innen empfahl er, sich in einer „anderen Gaststätte“ anzumelden – allerdings ohne sichtbaren Erfolg: Auch im Jahre 2013 führt Norddart e.V. zwei Mannschaften der Titanic, in denen u.a. die Horst Micheel und sein Sohn Pascal aktiv sind.


Alexander Hardt läd im Jahr 2009 in den “Club88” ein

Just diese beiden kandidierten bei den diesjährigen Kommunalwahlen für die extrem rechte NPD, die Kampagne „DIY- In die antifaschistische Offensive gehen“ outete Horst Micheel erneut und ergänzte beispielsweise die Information, dass der „Titanic“-Wirt schon seit einiger Zeit im NPD-Kreisverband Segeberg-Neumünster als Beisitzer tätig war. Er besuchte im letzten Jahr den Infotisch seiner Partei in Boostedt und begleitete den neu gewählten NPD-Ratsherrn Mark Proch zu seiner Vereidigung ins Rathaus, traute sich angesichts antifaschistischer Proteste dann aber doch nicht über die Straße. Nicht nur Micheel, auch die „Titanic“ spielt für die NPD eine Rolle: Einerseits finden hier wie am 13.01.2013 Treffen der neonazistischen Partei statt, zu denen führende Köpfe wie Ingo Stawitz, Jens Lütke und Daniel Nordhorn anreisen. Auch Nazi-Konzerte wie das des Liedermachers Frank Rennicke werden hier veranstaltet. Andererseits ist die Titanic nicht wie der „Club 88“ nur eine Lokalität von Nazis für Nazis, sondern lockt durch die Dart- und Skat- Angebote, Spanferkel-Essen oder unpolitische Konzerte auch weniger politisierte Kneipengäste an. Die Gewinne können zur Finanzierung extrem rechter Aktivitäten in Neumünster genutzt werden, die Gäste werden zudem nach und nach mit rassistischer Propaganda konfrontiert.

Die verzweifelten Versuche von Horst Micheel, seine neonazistischen Umtriebe zu leugnen, zeigen: Rechte Infrastruktur ist angreifbar, wenn ihre Hintergründe aufgedeckt werden. Egal ob “Club 88” oder “Titanic”: An die Substanz! – Nazis in die Pleite treiben!

Lesenswerter Artikel: Tuvia Tenenbom, Leiter des Jewish Theater of New York, besuchte für die Recherche zu seinem Buch “Allein unter Deutschen” den “Club 88”

Demnächst werden wir noch einen Abriss der Thematisierung von “Club88” und “Titanic” in der lokalen Presse über die letzten Jahre veröffentlichen, checkt unseren Blog!


links: Demonstration gegen die “Titanic” im Januar 2006; rechts: Demonstration gegen den “Club88” im Jahr 2009

Im Laufe der Jahre gab es mehrere direkte Aktionen gegen “Club88” und “Titanic”; hier einige Beispiele

Start der Kampagne “An die Substanz!”

In Schleswig-Holstein startet in diesen Tagen die Kampagne “An die Substanz – rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben”. Verschiedene antifaschistische Gruppen rufen in diesem Zusammenhang dazu auf, rechte Rückzugsräume und Geschäftswelten aus der Deckung zu holen und anzugehen. Neben den gemeinsamen öffentlichen Aktionen in den nächsten Monaten können sich alle Antifaschist_innen, die sich als Teil der Kampagne begreifen wollen, mit ihren eigenen Inhalten und Aktionsformen einbringen.

Aktuelle Informationen zu der Kampagne gibt es regelmäßig auf dem Blog andiesubstanz.noblogs.org. Dort gibt es auch eine Übersicht über rechte Geschäftswelten in Kiel, Plön und Neumünster. Eine Broschüre und weiteres Material wird in Kürze an mehreren Orten ausliegen.

In den nächsten Tagen folgen Hintergrundberichte zur Situation rechter Geschäfte in Neumünster und im Großraum Kiel.

Im Folgenden noch der Aufruf zu der Kampagne:

An die Substanz:
Rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben!

Nach den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein vom 26. Mai 2013 mussten Antifaschist_innen zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass es neofaschistischen Wahllisten landesweit in insgesamt drei Städten und einem Kreis gelungen war, Kandidaten für die nächsten fünf Jahre in Rathäuser und Kreistage zu schicken. Dies gelang ihnen, obwohl es kaum wahrnehmbaren Wahlkampf gab und Kandidaturen von Neofaschisten sich auf wenige Regionen beschränkten.

Vier rechte Kommunalwahl-Mandate 2013
In Kiel schaffte NPD-Ratsherr Hermann Gutsche den Wiedereinzug ins Rathaus, diesmal angetreten auf der Tarnliste WaKB („Wahlalternative Kieler Bürger“). In Neumünster zog Mark Proch für die NPD in die Ratsversammlung ein, im Kreis Herzogtum-Lauenburg gelang es dem kurz vor der Wahl aus der NPD ausgetretenen Kay Oelke mit der Splittergruppe “Rechtsstaatliche Liga” seinen Sitz im Kreistag zu verteidigen und ins Geesthachter Rathaus einzuziehen. Trotz teilweise sinkender Wähler_innenzahlen lautet die nüchterne Bilanz aus antifaschistischer Perspektive am Wahlabend, dass neofaschistische Bewerber in Schleswig-Holstein die Anzahl ihrer kommunalen Parlamentarier im Land von zwei auf drei bzw. vier zu erhöhen konnten.

Der stete Niedergang neofaschistischer Politik-Strukturen in Schleswig-Holstein
Unweigerlich drängt sich in Anbetracht dessen die Frage auf, welche Schlüsse Antifaschist_innen daraus ziehen müssen, wenn es dem Rechtsaußenlager gelingt, ein erfolgreiches Wahlergebnis zu erzielen, vor allem angesichts der niedrigen Erwartungen im Vorfeld und der allgemein desolaten Verfassung. Zur Erinnerung: Die Schleswig-Holsteinische NPD und ihre Umfeldstrukturen befinden sich seit einigen Jahren im stetigen Niedergang. Im letzten Jahr (2012) war die Neonaziszene so schwach organisiert, dass ihr Mobilisierungspotenzial auf der Straße kaum einmal den dreistelligen Bereich bei entsprechenden Aktionen erreichte. Die NPD demonstrierte ihre Unfähigkeit dann eindrucksvoll am 1. Mai in Neumünster, als ihre Demoroute von hunderten Antifaschist_innen blockiert wurde und eine eigenmächtig gewählte Ausweichroute nach wenigen hundert Metern im Polizeigewahrsam endete.

Die öffentliche Präsenz von organisierten Neonazis beschränkt sich aktuell daher auf wenige, in der Regel unangekündigte Stände und Kleinstkundgebungen, die meist auf Dörfern und in Kleinstädten durchgeführt werden. Beunruhigende Ausnahmen waren nicht-explizit neonazistische Aufmärsche zum Thema sexueller Missbrauch von Kindern, die 2012 in Leck und Neumünster von Rechten, darunter besagter NPD-Neu-Ratsherr-Mark Proch, angeführt wurden und zeitweilig Mobilisierungserfolge auswiesen. Abgesehen davon hat das einzige regelmäßige Event der Szene mit Ausstrahlungskraft, der „Trauermarsch in Lübeck“, die Fahrt nach Walhalla angetreten und ist auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Er wurde 2013 einfach abgesagt. Verantwortlich dafür sind neben der abgenommen Mobilisierungskraft und den kontinuierlichen antifaschistischen Gegenaktivitäten sicher auch andauernde parteiinterne Querelen. Zum einen zog sich der langjährige Anmelder des Aufmarsches, Roland Siegfried Fischer, von seiner Parteiarbeit zurück, zum anderen ist ein aktuelles Beispiel der Austritt Kay Oelkes kurz vor der Wahl. In Kiel musste Hermann Gutsche nach dem Wegbrechen der Strukturen der „AG Kiel“ auf den Nazi-unterwanderten Hobbyfußballclub “Bollstein Kiel” zurückgreifen, um seine Wahllisten zu füllen.

Dies verweist bereits auf den Umstand, dass die Tendenz bei den “freien Kräften” keinesfalls anders aussieht: Einzelne Gruppen und Protagonist_innen der Neonaziszene, die formal außerhalb der NPD organisiert sind, machen durch Propaganda und Übergriffe ihre Präsenz deutlich. Dies betrifft die Kreise Stormarn, Ostholstein und Nordfriesland, wo der “Freie Widerstand Südschleswig” in Leck maßgeblich an Inszenierung und Zuspitzung der Proteste beteiligt war. Der Aktivismus und die Vernetzung ist aber nicht annähernd mehr mit den Zeiten des zeitweisen Hypes um “Autonome Nationalisten” in Schleswig-Holstein vor nur wenigen Jahren zu vergleichen.
Auch das faschistische Spektrum jenseits der NPD und den oft mit ihnen verbundenen „Freien“ kann dieses Vakuum nicht füllen. Parteien wie “Die Freiheit” oder ” Die Rechte” und reale Gruppen des Internet-Phänomens “Identitäre Bewegung” sind zwar mal mehr, mal weniger existent, wirkliche Relevanz konnten sie aber bisher auf keinem Gebiet erzielen.

Zwischen Büchern, Wellness, Bier und Rechtsrock: Die blühende rechte Geschäftswelt im hohen Norden
Kurzum: Organisierte rechte Strukturen kriseln in Schleswig-Holstein nicht erst seit gestern größtenteils vor sich hin und doch haben neofaschistische Parteien ihre Sitze in den Rathäusern. Neben den bekannten Parteien und Organisationen muss es noch mehr rechte Lebenswelten im Land geben. Es existiert eine rechte Infra- und Geschäftsstruktur mit teilweise bundesweiter Ausstrahlung, auf die Antifaschist_innen und kritische Journalist_innen zwar regelmäßig hinweisen, die in der antifaschistischen Praxis aber oft zu kurz gekommen sind.

Allein in Kiel und Umland gibt es mehrere Läden, deren Betreiber_innen und teils auch Sortiment schlichtweg als unappetitlich zu bezeichnen sind. Der Regin-Verlag aus Kiel und vor allem aber das Verlagsimperium von Dietmar Munier, ansässig in Martensrade (Kreis Plön), versorgen die ganze Bundesrepublik mit nationalistischer, verschwörungstheoretischer, militaristischer und faschistischer Literatur.
Die namhafte Heilpraxis „Heilcentrum Pless“ wird mitten in Kiel von Henning Pless betrieben, einem in den frühen 1990ern als Vorsitzender der “Heimattreuen Jugend” bekannt gewordenen Neonazi, heute vor allem im Bereich des organisierten Gebietsrevisionismus führend tätig.

In Kiel-Gaarden existiert seit einigen Monaten der Laden “PLS-Werkzeuge”, der von dem langjährigen Nazischläger und Mittlerweile-Bandido Alexander Hardt geschmissen wird. Hardt gehört zum Umfeld des seit 15 Jahren existierenden Neonazitreffpunkts „Club 88“ in Neumünster, wo die Kneipe „Titanic“, betrieben vom sich mittlerweile offen zur NPD bekennenden Horst Micheel, ein Anlaufpunkt für die rechte Szene der Region ist.
In Nessendorf (Kreis Plön) war mutmaßlich sogar schon die Neonazi-Mörder-Bande “NSU” beim seit Jahren als NPD-Unterstützer bekannten Eckart August reiten, dessen Eselpark zu den führenden Ausflugstipps Schleswig-Holsteinischer Reiseführer gehört. Und im stormarnischen Glinde wird die Szene im “Thor Steinar”-Laden “Tönsberg” eingekleidet, um sich dann fesch auf rechten Events wie “Wir sprechen Deutsch – ehrlich und laut!”-Grauzonen-Festivals in Schacht-Audorf, “Freiwild”-Auftritten in Dithmarschen, “Kategorie C”-Konzerten in Flensburg und Kiel und Neonazi-Liederabenden an geheimgehaltenen Orten zur Schau zu stellen. Solche Musikveranstaltungen gehörten in den letzten Jahren beständig zur rechten Erlebniswelt in Schleswig-Holstein dazu. Den Soundtrack zu Mord und Totschlag dazu liefert der Mailorder „Support-Wear“ des Kieler Neonazis Matthias Kussin bequem frei Haus.

Nazi-business as usual
Dass überdies in einigen Teilen des Landes neonazistische Übergriffe auch ohne sich öffentlich spektakulär in Szene setzende Gruppen zum Alltag gehören, belegen zu viele Beispiele in hässlicher Regelmäßigkeit. Ein aktuelles, erschreckendes Beispiel ereignete sich Himmelfahrt in der Gemeinde Rieseby bei Eckernförde, Antifaschist_innen als Hochburg rechter Jugendbanden bekannt. Neonazis belagerten und bedrohten unter rassistischen Parolen, Böllerwürfen und Hitlergrüßen das Grundstück einer iranisch-stämmigen Familie. Der Mob konnte eine Zeitlang ungestört agieren und löste sich erst auf, als die Polizei endlich mit genug Kapazitäten eingriff.

An die Substanz gehen!
Auch wenn der rechte Sumpf in Schleswig-Holstein nicht immer übermäßig stark präsent ist, verfügt er zwischen einflussreichen Publizisten, unscheinbaren Geschäftsleuten, NPD-Umfeld, rechter Kneipen-Szene, trister Dorfjugend und rassistischen Sarazzin-Leser_innen im Land über eine feste Verankerung. Soll er trocken gelegt und auf diesem Wege auch das ohne größere Mühen stets abrufbare neofaschistische Wähler_innenpotenzial dezimiert werden, müssen wir als Antifaschist_innen unser Blickfeld auch dorthin erweitern, wo sich ihre Klientel seine Nischen, Geldquellen, ideologische Versicherungen und Erlebniswelten geschaffen hat. Dies sind auch Felder, die uns mitunter nicht zwangsläufig auf offener Straße ins Auge springen und die über letzten paar verbliebenen großen Namen auf den NPD-Wahllisten hinausgehen.

Die Demos und Aktionen gegen “PLS-Werkzeuge” in Kiel und “Tönsberg” in Glinde sind aktuelle positive Beispiele für die richtige Richtung, in deren Fußstapfen wir uns mit der Kampagne “An die Substanz! Rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben!” begeben wollen. Unser Ziel ist es, Informationen über die rechte Infrastruktur breit zugänglich zu machen, gemeinsam zur Tat zur schreiten und rechten Gewerbetreibenden die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz zu nehmen. Einige der genannten Beispiele haben sich in den vergangenen Jahren als hartnäckig auch gegenüber langjährigen antifaschistischen Kampagnen erwiesen, andere sind von antifaschistischen Interventionen bisher weitestgehend unbehelligt geblieben. Insgesamt sehen wir jedoch noch eine Menge ungenutzt gebliebenen Spielraum dafür, den Druck auf die rechten Geschäftsleute im Land merkbar zu erhöhen und zur einen oder anderen Ladenpleite beizutragen.

In der vorliegenden Broschüre geben wir eine kurze Übersicht über Geschäfte, Hintergründe und Personal des rechten Wirtschaftslebens in Schleswig-Holstein. Ausführlichere Informationen sind zudem auf unserem Blog andiesubstanz.noblogs.org zu finden. Dort werden wir auch aktuelle Termine und Aktionen im Rahmen der Kampagne veröffentlichen. Auch wenn der gemeinsamen Aktion ein hoher Stellenwert eingeräumt werden soll, sind alle Antifaschist_innen darüber hinaus selbstredend auch dazu aufgerufen, sich im Rahmen von “An die Substanz!” zu organisieren und auf ihre Weise und mit ihren Mitteln selbstständig aktiv zu werden, gerade auch in Bezug auf Infrastruktur, die von uns an dieser Stelle nicht explizit selbst in den Fokus genommen wurde.

Nutzen wir die nächsten Monate, um all das, was zur rechten Infrastruktur und Erlebniswelt zu zählen ist, dort wo sich die Wähler/innen von Gutsche, Oelke, Proch und Co. herumtreiben, kräftig aufzumischen, auszuhebeln und in der Versenkung verschwinden zu lassen.

It’s up to you! Zusammen mit langem Atem und viel Phantasie: Gegen rechte Strukturen und rechten Lifestyle vorgehen – Nazis in die Pleite treiben!